Neuntes Kapitel

Wir müssen unsren Hund verhauen
der Töle fehlt's an Urvertrauen
(Robert Gernhardt, auf dem Sterbebett gedichtet)

Meine Großmutter (väterlicherseits) war eine ganz famose Frau und sie war ganz genau wie eine richtige, echte Großmutter sein muss: gütig, weise und auf eine ganz natürliche und freundliche Art respekteinflößend. Und - sie konnte nicht nur unzählige Märchen auswendig erzählen, sie konnte auch zaubern. Und das soll jetzt keine Anspielung auf  ihre kunstvollen Näh-Strick-und Stickarbeiten sein, nein meine Großmutter konnte wirklich richtig zaubern, sie konnte Dinge verschwinden lassen und sie konnte Dinge herbeizaubern, ganz nach ihrem Belieben. Was mich als Kind natürlich und nachhaltig beeindruckt und geprägt hat. Und so fühlte ich mich dann auch bei meiner Großmutter immer ganz Zuhause und am richtigen Ort, auch wenn ich wusste, dass es da noch diese andere, richtige Großmutter gab (bzw. natürlich 2 davon), so habe ich die dann auch gar nicht wirklich vermisst, in meiner Kindheit (wenngleich ich sie natürlich auch liebend gerne noch kennengelernt hätte). Einen Großvater gab es in meinem Leben gar keinen, weder einen richtigen, noch einen falschen, also ich habe keinen von ihnen kennengelernt, weil die einen schon verstorben und die anderen ja offiziell gar nicht existend waren, ich sie folglich auch gar nicht kennen lernen konnte, bzw. durfte, sollten die noch am Leben gewesen sein.

Statt eines Großvaters, hatten wir, also meine Kinder und ich, dann einen Hund und der hatte auch etwas sehr großväterliches an sich. Ein grundgüter Hund war das, eine alte Seele, weise und hochsensibel, noch dazu über aus musikalisch. Mitunter neigte er zur Schwermut. Er liebte vor allem klassiche Musik und bei traurigen Stücken zog er sich ganz in sich zurück und es schien fast so, als weinte er, während er bei fröhlicher Musik schnell außer sich geriet, freudig bellte, wild umhersprang und das Tanzbein schwang.

Als unser Hund schon sehr alt war und es kaum noch die Treppe hinauf in unsere Wohnung schaffte, wurde ich sehr krank und konnte mich eine Weile nicht mehr richtig um ihn kümmern, genausowenig wie um die restlichen Familienmitglieder. Und eines Tages war er dann einfach weg. Keiner hatte mir etwas gesagt. Er wurde einfach weggebracht, von den Nachbarn, erst zu einem Gnadenhof von wo aus er dann angeblich an eine andere Familie vermittelt wurde. Ich konnte das aus emotionalen Gründen dann nicht mehr recherchieren, denn ich hätte ihn ja gar nicht mehr zurückholen können, weil er es wie gesagt gar nicht mehr schaffte, die Treppe zu unserer Wohnung zu meistern. Und innerlich war ich mir auch ziemlich sicher, dass er gar nicht mehr lebte, dass er vielleicht sogar gleich eingeschläfert worden war und dass ihn gar keine Familie mehr aufgenommen hatte. Ich hoffe, er kann mir mein Total-Versagen irgendwann verzeihen. Der Gute hat einem ja nie irgendetwas nachgetragen. Und auch wenn das in diesem Extremfall anders sein sollte, so hoffe ich, dass wir uns eines schönen Tages wieder begegnen werden. Ich werde ihn jedenfalls auf immer und ewig lieben und niemals vergessen.

Meine Großmutter starb friedlich in ihrem Bett, mit einem Lächeln im Gesicht. So werde ich das dann beizeiten auch machen und ich wünschte, auch unser Hund hätte gelächelt.

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