Sechstes Kapitel

Der Tod ist die Kurve an einer Straße
(Der Singende Tresen)

Heute fällt es mir sehr schwer Dir zu schreiben, aber da ich diese Sache hier schnellstmöglich fertigstellen will, setze ich mich eben doch wieder dran. Fast war ich geneigt, mit einer Anrede zu beginngen, obleich ich Dich bislang ja nie mit einer solchen begrüßt habe. Dich mit "Mein Lieber" anzusprechen wäre distanzlos, auch "Werter Freund" oder ähnliche Floskeln scheinen mir unangebracht und da es sich hier verbietet, deinen Namen zu nennen, werde ich auch weiterhin einfach ohne Anrede direkt zur Sache kommen. Tja und genau das ist heute ein Problem für mich. Wegen der Komplexität der Thematik, ich weiss nicht so recht wo ich beginnen soll, was ich alles mit hineinnehmen soll und wie ich es überhaupt in eine sprachliche Form gebacken kriege, könnte ich malen, würde hier heute ein Bild erscheinen.

Ich werde jedenfalls wieder sehr vieles auslassen und versuchen mit so wenig Worten wie möglich, das Wesentlich zu vermittlen. (Oder aber so lange um den heißen Brei herum reden, bis er kalt geworden ist). 

Es ist so, ich habe das Gefühl als hätte ich diesen ganzen irrsinnigen Zyklus der Menschheitsgeschichte schon einmal erlebt, also ich meine jetzt nicht das Kommen, Werden und Vergehen, darum geht schon auch, aber das ist ja die natürlichste Sache der Welt. Also das Leben und Sterben und Wiederkehren in neuer Form und das alles - worauf ich hinauswill ist etwas anderes. Ich fürchte nicht den Tod (und sehne ihn auch nicht herbei), der ja wie gesagt nur ein Durchgangstor ist, hin zu einer Formveränderung. Was mich zutiefst mit Schrecken erfüllt ist dieser Prozess der Ausrottung unseres gesamten Lebensraums, in welchem wir uns aktuell befinden und diese unfassbare Gleichgültigkeit, mit der das alles einhergeht. Und ich trage Bilder in mir, die wie Erinnerungen an eine Zeit erscheinen, in der die Menschheit es schon einmal verspielt hat. Und wir unsern Lebensraum zerstört haben, so dass kein Wiederkehren, keine Vollendung, keine Weiterentwicklung mehr möglich war, sondern die ganze Evolution sich wieder ganz von Neuem und von Vorne hat ausformen müssen, und das obgleich wir schon alle Mittel und Wege zur Hand und bei Fuß hatten, wirklich paradiesische Zustände für alle Lebewesen zu schaffen.

Und dann ist da noch die Lüge und die Falschheit, die mir so sehr zu schaffen macht. 

Da lag es, winzig klein und zerbrechlich auf ihrem Bauch, das Neugeborene, es atmete und suchte die Brust und dann haben sie es ihr aus den Armen gerissen und fortgetragen und behauptet, es wäre tot.

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